Was ist FASD?

Mütterlicher Alkoholkonsum während der Schwangerschaft ist eine häufige Ursache für angeborene Fehlbildungen, geistige Behinderungen, hirnorganische Beeinträchtigungen, Entwicklungsstörungen und extreme Verhaltensauffälligkeiten.

Alle Formen dieser vorgeburtlichen Schädigungen werden unter dem Begriff FASD (Fetal Alcohol Spectrum Disorder) zusammengefasst. FASD kann sich in seiner Ausprägung sehr unterschiedlich darstellen, was die Diagnostik oft erschwert.

Kinder mit FASD sind für ihr gesamtes Leben geschädigt, wobei die größten Probleme oft in der Bewältigung des Alltags liegen. Ein normales Leben in der Gesellschaft ist nur den wenigsten Jugendlichen und Erwachsenen mit FASD möglich.

Bericht einer Pflegemutter

FASD Vortrag 22 März 2017

Einen schönen guten Tag,

mein Name ist Nicole Schäfer und mittlerweile schon 40 Jahre alt. Sehr stolze Mutter von 7 Kindern,  2 eigene Kinder und 5 Kindern  in Pflege. 

4 dieser Pflegekinder haben das Vollbild FASD, eines davon, jetzt 19 Jahre, steht noch zu Diagnostik aus.

Ich wurde durch Frau Mehrer angesprochen, ob ich zu diesem Fachtag einiges aus meiner Erfahrung und dem Leben meiner FASD Kinder erzählen und berichten möchte.

Nun steh ich hier, denn es ist dermaßen wichtig über dieses Thema zu sprechen, dass ich jetzt hier stehe und berichte, wie es uns mit FASD geht. Vorab möchte ich sagen, dass nicht jedes Kind mit FASD Schwierigkeiten haben muss. Hier geht es mir um die Kinder, die Eltern und das Umfeld mit Schwierigkeiten zu FASD.

Meine FASD Kinder sind fast 5, 7, 10 und 11 Jahre alt. Bis auf den 7 Jährigen bekam ich alle als Babys. Bei den 10 und 11 jährigen war sofort klar das diese Kinder FASD haben, da die Mütter alkoholabhängig sind bzw. waren.

Bei den anderen beiden war dies nicht sofort klar, da die Mütter „nur“ gelegentlich getrunken hatten.

Fakt ist heute, alle Kinder haben Vollbild FASD!!! Fakt ist auch jedes meiner Kinder mit FASD ist anders. Während die einen ohne große Schwierigkeiten durchs Leben gehen, haben andere Kinder und ihr Umfeld vieles zu bewältigen und auszustehen. 

Was das bedeutet brauch ich denen, die damit jeden Tag zu tun haben nicht erzählen. Den anderen möchte ich erzählen... es ist teilweise die Hölle...

Wenn man sich durch viele Fachtagungen und Fortbildungen zu diesem Thema gekämpft hat und man ein Gefühl und Verständnis  für diese Menschen/ Kinder aufgebracht hat und auch aufbringt, dann läuft es in dem häuslichem geschützten Rahmen „relativ“ ruhig. Wir haben uns oder sollten uns damit arrangiert haben, das diese betroffenen Menschen/ Kinder so sind wie sie sind. Auch wenn es fast täglich wie eine Achterbahnfahrt ist. Aber Sobald die äußeren Reize dazu kommen, sind wir sehr oft machtlos und hilflos. Werden sogar manchmal von aussen angegriffen

Als meine Kinder noch kleiner waren, erhielten die Kinder und wir viele Unterstützungsmaßnahmen. Wie zum Beispiel die Frühförderung. Diese frühe Hilfe ist unabdingbar, denn Kinder mit FASD brauchen so früh wie möglich Hilfe und Unterstützung. Leider gibt es viele Eltern die sagen, noch braucht mein Kind das nicht, fangen wir doch erst im Kindergarten oder Schule mit Förderung an. Eine Diagnostik, wozu...???? Die schnelle und frühe Diagnostik ist aber super wichtig für die frühe Förderung, den Umgang und dem Verständnis für diese Kinder. Denn nur wenn ich das Erkrankungsbild kenne, kann ich richtig fördern, begleiten und unterstützen. Ich muss mich dann nicht fragen und darüber aufregen,  warum das Kind Anweisungen nicht versteht. Ich weiß das es das nicht mit Absicht macht, das es mich nicht versucht ständig zu ärgern. Es hilft mir und den Kindern unseren Alltag zu bewältigen, da ich immer wieder jeden morgen aufs neue, den Kindern erzähle, was sie zu machen haben, in welcher Reihenfolge der Tag abläuft usw. Wie wichtig es ist diesen Kindern immer wieder eine Ansprache zu geben. Eine feste und enge Struktur. Unsere Kinder sind ein Leben lang Schwerbehindert, ggf. brauchen sie ein Leben lang Hilfe, Unterstützung und Begleitung. 

Meine Kinder wären heute nicht da, wo sie jetzt sind, wenn ich dies nicht so umsetzten würde. Die Förderung viel später angefangen hätte. Je eher die Förderung anfängt, desto eher besteht die Möglichkeit das die Kinder ihr gelerntes und erlerntes nutzen und halten können. Denn spätestens ab Schuleintritt wird es für diese Kinder und Eltern … nett gesagt... sehr anstrengend.

In der Kindergartenzeit gab es  „normale“ Eltern mit „normalen“ Kindern die unsere Kinder und einen selbst ab und zu mal ausgrenzen, weil man „solche“ Kinder hat. Einige sprachen einen direkt drauf an, die anderen machten einen großen Bogen bzw. sagten auch mal das ihr Kind ganz bestimmt nicht mit einem Kind wie meinem spielen soll. Meine Kinder haben einen an der Klatsche

Zum besseren Verständnis – Ich habe 2 FASD Kinder die mit alles und jedem mitgehen, machen jeden erdenklichen Mist mit oder lassen sich verleiten bzw. anstiften. Flippen regelmäßig aus schlagen, treten haben Wutausbrüche – kurz – viele Verhaltensstörungen.

Die anderen beiden sind eher introvertiert, mögen den Kontakt nach aussen nicht ,leben teilweise in ihrer eigenen Welt und führen zum Beispiel Selbstgespräche oder klammern sehr , wirkt wie leicht autistische Züge, Ess und Schlafstörungen. Für uns lassen sich die Schwierigkeiten gut erklären, wir kennen uns damit aus – denn es ist eine Hirnschädigung Ausgelöst durch Alkohol in der Schwangerschaft – diese ist– irreparabel – ein Leben lang – FASD ist nicht  therapierbar und nicht heilbar.

Wie erkläre ich das im Kindergarten, den Erziehern und Eltern, wenn mein Kind immer wieder den selben Mist macht, anderen weh tut, sich nicht regulieren lässt, anders aussieht – sich anders benimmt, nicht normal benimmt in keine Schublade passt.

In dem Kindergarten wo meine Kinder waren, sind die Erzieher sehr offen und verständnisvoll damit umgegangen. Waren sogar zu Fachtagungen. Haben Verständnis und Engagement aufgebracht. Dadurch lief bis zum Ende des Kindergartenalters vieles noch „relativ“ ruhig.

Dies geht im übrigen nur solange man ein eingespieltes Team ist und alle an einem Strang ziehen. 

Es muss für die Kinder unbedingt gut zusammen gearbeitet werden. Wir müssen uns gegenseitig Helfen und unterstützen.

Dann kommt die Schule... und für die Kinder und uns persönlich  war/ist das der Supergau !!!!

Fangen wir an mit der Einschulungsuntersuchung – Amtsarzt untersucht, man gibt die Diagnosen von Fachärzten etc. hierzu ab und dann kommt entweder – FASD -was ist das oder „Ach so, ja, diese Modeerscheinung oder „wenn sie zu diesem Arzt gehen, dann hat ja jedes Kind FASD usw… Also ein Anspruch auf sofortige Förderung und Unterstützung gibt es nicht. Wir sollen uns keinen Kopf machen und die festgestellte Schwerbehinderung und die Beeinträchtigungen spielen erstmal keine Rolle. Lassen Sie das Kind doch erstmal in der Schule ankommen.

Alle meine Kinder werden normal beschult. Gesagt getan. Wir haben vorab mit Lehrern und Frühförderung Gespräche über die Kinder geführt und aufgeklärt Über FASD und was die Kinder brauchen. Fachliteratur und Diagnose hierzu gegeben. Muss noch kurz erwähnen, dass meine Kinder IQ`s von 84, 92 und 101 haben. Somit leider kein Anspruch auf eine Schule für geistige Behinderung.  Bei uns in Dithmarschen gibt es erst Anspruch auf andere Beschulung wenn der IQ unter 70 liegt. Leider hat bis heute kaum jemand Verstanden, dass man auch mit einem IQ von 100 nicht normal schulfähig sein kann

Auch haben alle eine Schwerbehinderung bis zu 80 %.  Merkkennzeichen B und H im Ausweis für Begleitung und Hilfe aufgrund ihrer Hilflosigkeit. Pflegestufe „0“ mit eingeschränkte Alltagskompetenz im erhöhten Maße.

Dann wird durch die Schule mitgeteilt „wir sind offen für so etwas, ihrem Kind wird alles mit an die Seite gestellt was es braucht, Wir haben ja Inklusion, individuelle Beschulung… alles kein Problem. Nach 2 Wochen der erste Anruf über das Benehmen des Kindes. Wie frech und pflegelhaft es sich benimmt, es könne ja gar nicht still sitzen, immer würde es Streit mit den anderen Kindern geben, lügen, klaut  usw. usw. usw. Es folgen Ausschlüsse und Schulverweise.

Dies geht dann eine Weile so weiter, bis man dann den Lehrern nochmals Informationen über FASD gibt, vermittelt dass es vielleicht besser ist das Kind andere Hilfsmaßnahmen mit auf den Weg zu geben, Verständnis aufzubringen für die Beeinträchtigung des Kindes, Strukturen zu erarbeiten man bittet, ... manchmal bettelt man sogar um Verständnis für das Kind mit seiner Beeinträchtigung. Und dann kommt der Lehrer und sagt zu einem „das Kind ist nur zu dumm und hat kein FASD, dieses Kind hat etwas anderes........“

Im übrigen wurde dieses Kind, mein bald 11 jähriger Pflegesohn, mehrfach  öffentlich vor der ganzen Klasse von seinem Lehrer niedergemacht, wegen seines Verhaltens, mangelndem Lernverständnis et. mit Aussagen wie dumm, mies blöd er doch wäre usw. (habe ich im übrigen auch schriftlich bekommen) Nach Aussprache mit Schulleiter/ Direktor und fachlicher Unterstützung. Soll es nun besser werden. Es soll enger zusammen gearbeitet werden. Was für diese Kinder unabdingbar ist. Denn niemand kennt unsere Kinder so gut wie wir. Wir wissen, auf was diese Kinder alles reagieren können, und was es alles braucht damit sie gut zurecht kommen.

Ähnlich verhält es sich auch mit anderen Institutionen, wie zum Beispiel mit dem Jugendamt. Hierbei möchte ich drauf Hinweisen, dass es beim Jugendamt, egal in welchem Kreis Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gibt, die sehr engagiert dabei sind, beraten und unterstützen und alles versuchen damit es den Eltern und dem Kind mit Kindergarten Schule etc. gut gehen kann.

In unserem Kreis ist dies zum größten Teil derzeit nicht so. Man fragt sich dann, wenn  Mitarbeiter vom  Jugendamt, studierte Sozial – Pädagogen kein Verständnis für diese Kinder aufbringen können oder wollen, wie soll es dann für diese Kinder weiter gehen. Diagnosen von anerkannten Ärzten sollen nicht zählen, werden nicht anerkannt ????  Es soll unser Schuld sein, das die Kinder so sind wie sie sind ???? Erziehungsfehler ????

Ähnlich sieht es leider auch bei anderen Institutionen aus. Wir hatten jetzt in den letzten Wochen unseren 7 Jährigen FASDler in einer Klinik für Kinderpsychologie und Therapie. Gespräche mit den Psychologen, Ärzten gab es einige. Fachliteratur zu FASD wurde den Ärzten übergeben. Aussage von der Klinik „Ja, Ja kennen wir“ Gestern wurde unser Sohn entlassen. FASD taucht dort im Brief nicht auf da es ja keine geistige Behinderung ist. Das es eine Beeinträchtigung und eine Behinderung ist, darüber war man sich einig. Es kommt aber für die Auffälligkeiten des Kindes nicht in Betracht, da das Kind noch lernfähig ist und irgendwann wird auch dieses Kind das verstehen, wie es sich zu benehmen hat. So läuft es leider überwiegend überall. Erzieher, Lehrer, Jugendamt, Ärzte, Schulbegleiter, Einrichtungen etc.

Mich mach es sehr traurig, denn ich sehe jeden Tag was diese Kinder trotz allem leisten. Diese Kinder können mit dem richtigen System manchmal sogar noch mehr erreichen, andere wiederum könnte man so lassen wie sie sind, ohne den ganzen Ärger und Frust.

Ich frage mich dann manchmal, was sich meine Kinder wünschen würden, wenn sie es könnten, dürften. 2 meiner Jungs mit FASD haben schon mal ab und an etwas erzählt.

Unser 11 jähriger würde sagen: ich wünschte ich würde nicht immer alles vergessen. Ich finde es nämlich voll doof, wenn ich ein Gedicht lerne und ich es dann irgendwann kann, und dann auf einmal ist alles weg . Das macht mich wütend und traurig, ich wünschte ich könnte mich besser konzentrieren und regulieren, ich wünschte ich hätte nicht nur Fehler, ich wünschte ich würde verstanden da ich nichts mit Absicht mache. Ich wünschte meine Klassenkameraden würden mich wieder mögen – denn im Moment mögen sie mich nicht da ich echt blöd, laut, frech, beleidigend zu ihnen bin. Ich wünschte ich wäre deswegen nicht so oft traurig darüber... niemand versteht meine Krankheit, 

Unser fast 7 Jähriger neigt zur Fremd und Eigengefährdung. Er zündelt, er verletzt sich und andere, zwischendurch ist er sehr aggressiv und nicht regulierbar.  Er sagt über sich: Ich wünschte ich wäre nicht so dumm, scheiße und blöd. Ich wünschte alle würden mich mögen, ich wünschte ich müsste nicht immer streiten, ich wünschte ich müsste nicht alles kaputt machen, ich wünschte ich bekäme nicht immer ärger für mein Handeln und tun, ich frage mich ganz oft „ was stimmt nicht mit mir“, denn ich will doch gar nix böses tun, und manchmal wünschte ich – ich wäre einfach tot – denn so wie ich bin, bin ich nicht richtig und so will ich nicht mehr leben. Im Übrigen, er hat sich schon des öfteren auf die Straße gelegt und hat darauf gewartet das ein Auto kommt, damit es ihn endlich tot fährt... Sein 21 jähriger Bruder der auch FASD hat, hat bereits mehrfach versucht sich das Leben zu nehmen, Gott sei Dank bisher ohne Erfolg.

Bei einer guten Freundin von mir, ist das nicht so gut Ausgegangen. Ihr 14 jähriger FASD Sohn hatte hierbei mehr Erfolg, denn er lebt nicht mehr unter uns. Leider ist das auch kein Einzelfall.

Meine beiden  7 und 11 Jahre alten FASD Kinder haben einem noch relativ guten IQ und diese beiden reagieren unwahrscheinlich sensibel auf die Aussenwelt. Sie wissen das sie FASD haben und das dadurch viele  Sachen und Dinge mit einem passieren die sie nicht händeln können. Das macht es umso schwerer denn unsere große tolle bunte Aussenwelt weiss das nicht !!!! 

Wir haben so viele anerkannte Behinderungen wie Z.B. Autismus, Down Syndrom andere genetische Erkrankungen, aber keines dieser Behinderungen ist so leicht abzuwenden und zu vermeiden  wie FASD.

Es ist ganz Schlicht und Einfach: Absolut keinen  Alkohol in der Schwangerschaft !!!!! 

Die Mütter von meinen Kindern hätten theoretisch nicht getrunken wenn sie gewusst hätten, was das für die Kinder bedeutet. Genauso wie ihre Mütter. Jede Mutter würde ihr ungeborenes schützen, wenn jeder auf dieser Welt nur ein bisschen mehr Ahnung davon hätte was Alkohol in der Schwangerschaft bei unseren Babys verursacht. Wären sie doch nur aufgeklärt und begleitet worden

Gäbe es doch bloß eine standardisierte Aufklärung überall hierzu. Die Prävention hierzu muss dringend vorangebracht werden. Genauso wichtig ist es, den Betroffenen endlich eine Lobby  hierfür zu geben. Diese Krankheit gilt es überall anzuerkennen. Bei Ämtern, Behörden Ärzten, Gerichten, Politik, in der Gesellschaft. Und nicht als Untergruppe von ADHS/ ADS oder ähnliches ab zu tun. Ich hoffe und wünsche mir sehr, genauso wie meine Kinder, das mit solchen Veranstaltungen wie heute endlich mehr Transparenz, Prävention, Standards, Anerkennung und Unterstützungsmaßnahmen erfolgen.

Vielen Dank.

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